XII. Deutscher Italianistentag
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Bewegungen / Movimenti

Parmenides' und Zenons Ablehnung des Begriffs der "Bewegung" stellte Heraklit seine These des πάντα ῥεῖ gegenüber; Platon kommt später in den Νóμοι zur Klassifikation von acht Arten von Bewegung, Aristoteles unterscheidet quantitative und qualitative Bewegung sowie Ortsbewegung. Viele Jahrhunderte danach sollte Galileo Galilei sein Interesse auf das Verhältnis von Zeit und Weg bei Bewegungen und die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten richten, Descartes wird in den Regulae ad directionem ingenii vom "continu[us] qu[i]dam imaginationis motus", "nullibi interruptu[s]", sprechen, in dessen Rahmen die Einzelaspekte in Form einer "diligens et accurata perquisitio" zu erfassen sind.


Für die Zeit seit Ende des 17. Jahrhunderts registriert das Grimmsche Wörterbuch die "öffentliche bewegung" (als 'Aufruhr' etwa bei Johann Balthasar Schupp: "zur aufruhr und bürgerlichen bewegungen getrieben"; arbeiterbewegung: "aufruhr der arbeiter"; als 'Aufsehen' bei Gottlieb Wilhelm Rabener), und auch das Wörterbuch der Accademia della Crusca nimmt in der dritten Auflage von 1691 die Lesart "novità, commozione" auf, allerdings mit einem wesentlich früheren Beleg aus Agnolo Firenzuolas Asin d'oro d'Apuleio.


In der Moderne ist Bewegung zu einem grundlegenden Konzept, zu deren "zentrale[r] Metapher", zu einer "performativen Kategorie" (Gabriele Klein) geworden. Dabei rückte insbesondere die (Notwendigkeit der) Gestaltbarkeit von Bewegung in den Vordergrund, die zur Entstehung ganz unterschiedlicher Auffassungen von und Sichtweisen auf Bewegung geführt hat, die sich in allen Lebensbereichen manifestieren, von der Gesellschaft über die Medien bis hin zur Wissenschaft. Im Kontext der Postmoderne ist der zentrale Charakter dieser Metapher dann zunehmend auf den Prüfstand gestellt worden, insbesondere im sozial-, gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Kontext, wo seit einigen Jahren Begriffen wie Zirkulation und Interaktion, aber auch Mobilität und Transfer eine zentrale Rolle zukommt, und zwar sowohl im Hinblick auf die je interessierenden Gegenstände selbst als auch auf das diesbezüglich generierte Wissen und die damit verbundenen Wissensordnungen bzw. deren (De)Stabilisierung. Bewegung im Sinne von Mobilität etwa konstituiert den Gegenstand von Migrationsforschung, die sich zunächst eher an einem insofern statischen Verständnis orientierte, als sie von einer dauerhaften Verschiebung des Lebensmittelpunktes ausging, während neuere Forschungen stärker die Vielfalt und Varianz von Ortswechselkonstellationen und die damit verbundenen, je unterschiedlichen Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit in den Vordergrund rücken.


Auch lange Zeit als stabil angesehene Wissensordnungen unterliegen einerseits selbst einer zunehmenden Dynamisierung, etwa durch Veränderungen im Bereich der Medien, die diese Wissensbestände transportieren; andererseits hat aber auch ein veränderter Blick auf frühere Konstellationen der Wissensproduktion, -speicherung und -weitergabe dafür gesorgt, dass auch die Frage nach dort wirksam gewesenen Dynamiken nachdrücklicher gestellt worden ist.


Unter den Stichworten "Literatur in Bewegung" (O. Ette), "Literatur ohne festen Wohnsitz" (W. Asholt u.a.), aber auch "Letteratura de-centrata" (S. A. Sanna) ist in jüngerer Zeit die Frage nach dem Raum/den Orten aufgeworfen worden, in dem/an denen sich literarische Texte bewegen, sowohl hinsichtlich ihres Verhältnisses zu anderen Texten, aber auch zu den Orten, Zeiten und Umständen ihrer Produktion bzw. Rezeption. Ebenso wird in der Sprachwissenschaft – ergänzend, aber auch in Abgrenzung zu einer eher metaphorischen Lesart von Raum (etwa "Varietätenraum") – seit einiger Zeit die grundsätzliche, d.h. wörtlich zu verstehende Räumlichkeit von Kommunikation hervorgehoben (Th. Krefeld), die ebenso die Sprache(n) wie den Sprecher und das Sprechen selbst betrifft. Bewegung und Mobilität haben aber ebenso auch im schulischen und damit fachdidaktischen Bereich ihren Raum, angefangen von pluriethnischen Konstellationen in den Schulklassen und der damit einhergehenden Diversität des kulturell-sprachlichen Erfahrungshorizonts bis hin zu den dadurch in spezifischer Weise beeinflussten Prozessen der Vermittlung, Restrukturierung und Integration der jeweiligen sprach-, literatur- und kulturbezogenen Lerninhalte, wodurch natürlich auch die Frage nach methodisch angemessenen Herangehensweisen virulent wird.


Im Mittelpunkt der Tagung steht insofern die Auslotung der Dynamiken, die einerseits zu Bewegungen führen und die andererseits zugleich durch letztere ausgelöst werden und insoweit in den jeweiligen Sektionen hinsichtlich ihrer spezifischen Ausprägungen zu untersuchen und zu erörtern sind.